Die Dinge in die Hand nehmen

Reparatur als Möglichkeit zur Schaffung von Neuem – als Mittel zur Veränderung in einer reparaturbedürftigen Welt.

In letzter Zeit fällt das Wort Reparatur sehr häufig, auf Nachhaltigkeitskongressen, in den Medien, manchmal sogar aus dem Mund eines Politikers. Man scheint die jahrtausendealte Methode des Instandsetzens wieder als eine Möglichkeit zu begreifen, eine aus den Fugen geratene Welt behelfsmäßig zu stabilisieren. Diese Art der Reparatur kann zwar kurzfristig helfen; zielführender und nachhaltiger wäre es jedoch, den entstandenen Schaden an Umwelt und Mensch als Anreiz zur Veränderung anzusehen und diese aktiv und kreativ zu betreiben.

Mich als Modedesignerin und Gründerin des Veränderungsateliers »Bis es mir vom Leibe fällt« reizt an der Reparatur das Erneuern, Erweitern, Umwerten und Umfunktionieren von Dingen, die sich bereits in der Welt befinden. Im Veränderungsatelier nehmen wir diese Herausforderung an und designen kaputte oder gebrauchte Kleidungsstücke zusammen mit unseren KundInnen ressourcenschonend um und weiter. Dabei geht es nicht nur um bloße Materialschonung oder modisches Updaten, sondern es fließen auch sehr persönliche Vorlieben, Erlebnisse und Erinnerungen in das Design mit ein. So entstehen nicht nur lauter Unikate, sondern oft auch überraschende und ungewöhnliche formale Lösungen. Besonders reizvoll scheint mir an der Idee, dass sie den Einzelnen auffordert, selbst gestalterisch tätig zu werden und Handlungsmacht zu beanspruchen. Damit wird das Veränderungsatelier auch zu einer Art Schule für einen selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt.

Außer unserer individualisierten Reparatur- und Upcyclingtätigkeit erzeugen wir auch eine Reihe einschlägiger Fertigprodukte: aus Wegwerfstoffen und Altkleidern entworfene Kleidungsstücke und Accessoires. Sie sind quasi die Nebenprodukte eines ständigen Forschungs- und Entwicklungsprozesses, mit dem wir dauernd unser Repertoire erweitern. So finden die DesignerInnen des Veränderungsateliers immer wieder schöne Möglichkeiten, unterschiedliche, auf den ersten Blick reizlose Ausgangsmaterialien so zu drehen, dass daraus etwas Besonderes, auf diese Weise oft noch nie Gesehenes entsteht. Wir verwerten also nicht nur als unbrauchbar erachte Textilien und reduzieren damit den Rohstoffverbrauch, sondern ringen ihnen auch neue Einfälle ab und tragen damit zur designerischen Artenvielfalt bei.

In Anbetracht der Tatsache, dass sich mehr als eine Milliarde Menschen rund um die Erde in Folge der Klimaerwärmung auf Wanderung begeben und sich die Rohstoffe dramatisch verknappen werden, würde ich sagen, dass Reparieren – nicht nur in der Mode – unbedingt eine Zukunft hat. Es ist eine grundsätzliche Schule der Veränderung und der Improvisation –Fähigkeiten, die wir dringend brauchen werden, wenn wir die Welt nicht länger beherrschen können, sondern versuchen müssen, mit ihr zu tanzen.

Foto: Akud

Workshop auf dem ökoRAUSCH Festival

Erste Schritte vermittelt der Workshop »Ich mache mir ein Lieblingsteil«. Mithilfe leicht erlernbarer UPCYCLING-Methoden (Schablonensiebdruck, Spitze-Herstellung aus Stoffesten, Flechten, Applikation, Kaltfilzen, Gestalten mit Tyvek) verwandeln die TeilnehmerInnen ihre gebrauchten oder ausgemusterten Kleidungsstücke (vorzugsweise Herrenhemden, T Shirts oder Jeans) in persönliche, selbstgestaltete und selbst produzierte Lieblingsteile.

Bitte bringt Hemden, Shirt oder Jeans zum Workshop mit.

So könnten eure neuen Stücke bald aussehen:

Autor*in

Lisa Prantner

Freischaffende Modeschöpferin, lebt in Berlin. Kontinuierliche Produktion und Präsentation von jährlich mehreren Kollektionen seit 1984. Diverse Ausstattungen für Theaterproduktionen. Zahlreiche Aktionen, Performances und Schauen, in denen sie in der Sprache der Mode Geschichten erzählt. 2011 gründete sie das Veränderungsatelier „Bis es mir vom Leibe fällt“, in dem sie sich der Reparatur im weitesten Sinne des Wortes widmet: der Erhaltung und Erneuerung von (textilen) Dingen, die sich bereits in der Welt befinden. Das Projekt wurde 2012 mit dem deutschen Bundespreis ECO Design ausgezeichnet. Foto: Wolfgang Sigmund

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